Orientierung in der Veränderung
Stell dir vor, ein kleiner See in den Alpen mit einer intakten Flora und Fauna. Karpfen, Frösche, Wasserschnecken, Schilf ...
Dort leben verschiedenste Arten in einem weitgehend balancierten
Gleichgewicht miteinander. Der Austausch von Nährstoffen, Fressen und gefressen
werden, Leben und Sterben … all das läuft nach ähnlichem Muster ab. Nun kommt ein Fischer, der Barsche dort ansiedeln möchte und einige Exemplare dort freilässt.
Aus Komplexitätssicht ist es nun leichter zu beantworten, wie sich die Barsche auf das gesamte Ökosystem auswirken als zu fragen, was mit den Karpfen passiert, sobald die Barsche kommen. Bei Komplexität ist die Betrachtungsebene die Dynamik im System und nicht der einzelne Akteur.
Fenster der Gelegenheit
Stellen dir eine junge Frau vor, die gerade ihre Schule abgeschlossen hat und auf der Suche nach ihrem Lebensweg ist. Diese Frau geht mit einer Freundin ins Kino und sieht eine Dokumentation über Sozialprojekte in Nepal. Inspiriert davon sucht sie in den nächsten Tagen nach Möglichkeiten sich in Nepal zu engagieren und fliegt 3 Monate später in das unbekannte Land.
Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, dass ihr
Leben dadurch einen ganz anderen Verlauf nimmt, als es genommen hätte,
wäre sie nicht ins Kino gegangen. Gleichzeitig haben viele 100 Menschen
diesen Film gesehen, für die dieser Film keine Änderung in ihrem Lebensweg bedeutet.
Diese Dynamik wird in den Komplexitätswissenschaften als Fenster der Gelegenheiten bezeichnet und unterstreicht die Tatsache, dass Systeme (in dem Fall diese junge Frau) zu unterschiedlichen Zeiten mehr oder weniger empfänglich für Impulse von außen sind.
Geschichte ändert Dynamik
Gleichzeitig hat jedes System eine einzigartige Geschichte, die Einfluss auf seine Zukunft nimmt. Ofmals erhalten diese Pfadabhängigkeiten ein System auch noch dann, wenn sich äußere Umstände bereits geändert haben.
Denk zum Beispiel an die Tastaturen: Dies wurden ursprünglich so entwickelt, um zu vermeiden, dass sich die Arme der Schreibmaschinen ineinander verhaken. Heute gibt es so gut wie keine Schreibmaschinen mehr. Dennoch bleibt die Tastatur in ihrer Natur bestehen.
Kein Akteur kann sinnvollerweise als Erstes den Schritt machen die Anordnung der Tastaturen zu ändern. Würden die Produktionsfirmen auf andere Formate umstellen, könnten die meisten Menschen nicht mehr damit schreiben. An den Schulen stellt man nicht um, solange die meisten Firmen die QWERTZ Tastatur haben. Firmen stellen nicht um, weil sie keine qualifizierten Arbeitskräfte finden könnten, u.s.w.
Adaptive Zyklen
Die Pfadabhängigkeit hält Systeme andererseits in den Phasen des Wachstums und der Erhaltung stabil, schränkt die Veränderungen ein.
Jean Boulton, Peter Allen und Cliff Bowman schlussfolgern in ihrem Buch "Embracing Complexity", dass u.a. unsere globale Finanzwirtschaft in einem solchen Lock-In ist, dass jeglicher "Wettbewerb" zwischen Akteuren ausgeschlossen ist und die Energie in Form von Kapital sehr wahrscheinlich nur durch einen Zusammenbruch freigesetzt werden kann.
Komplexität auch im sozialen Leben
Auch wenn sich viele der oben genannten Beispiele auf die Natur beziehen, lässt sich der Ansatz der Komplexität auch auf gesellschaftliche Situationen anwenden. Unsere Lieferketten, Städteplanung oder unser Geld- oder Wirtschaftssystem: Alle sind hochkomplexe Gebilde mit systemischen Zusammenhängen, Pfadabhängigkeiten und gleichzeitig unberechenbaren Dynamiken.
Komplex ist nicht gleich
schwierIG !
Komplexität ist eine Sichtweise und muss nicht unbedingt schwieriger bedeuten. Es ist nur ein Perspektivenwechsel. Es gibt verschiedenen Werkzeuge, mit denen komplexe Zusammenhänge einfach verständlich dargestellt werden können. Darüber hinaus macht Übung den Meister. Um so öfter wir uns darin üben, Dinge aus einer Komplexitätsperspektive zu betrachten, um so leichter fällt es uns.
Dabei ist Komplexität keinesfalls nur eine wissenschaftliche Disziplin. Das Denken in Beziehungen und Zusammenhängen haben viele Kulturen dieser Erde in ihre Kultur integriert. Von Taoismus, Buddhismus hin zum Verständnis von natürlichen Prozessen der Kogi in Südamerika. Verschiedene Kulturen haben verschiedene Wege gefunden, Komplexität als Weltbild in ihre Abläufe zu integrieren. Welchen Weg werden wir finden?
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